Geschichte der Heiligen Anna - unserer Patronin

Von Anna, der Mutter Mariens, ist in der Bibel nicht die Rede. Aber schon das „Protoevangelium des Jakobus", eine um 150 n. Chr. entstandene Schrift, nennt ihren Namen und erzählt ihre Geschichte. Diese Erzählung erfuhr im Mittelalter noch einige Erweiterungen und wurde abschließend in der „Legenda aurea“ („Goldene Legende“, um 1270), dem berühmten Sammelwerk des Dominikaners Jacobus a Voragine, ausgeführt.

Die Legende berichtet: Anna aus Bethlehem wurde von Joachim aus Nazareth zur Frau genommen. Joachim war aus dem Geschlecht des Königs David, somit ist auch seine Tochter Maria und ihr Sohn Jesus, der in der Bibel oft als „Sohn Davids" bezeichnet wird, aus diesem Stamm. (Das Neue Testament zählt nur den Stammbaum des „Nährvaters" Joseph, der ebenfalls auf David zurückgeht, auf: Matthäus 1, Lukas 3.)

Beide Eheleute erfüllten gerne und mit Eifer das Gesetz Gottes; von ihrer reich­lichen Habe behielten sie nur ein Drittel zum Lebensunterhalt für sich und ihr Gesinde, das zweite spendeten sie für den Tempel und seine Diener, das dritte teilten sie liebevoll an die Pilger und Armen aus. (Der Künstler der Glasbilder hat dies gleich in zwei Szenen darge­stellt: Joachim bedenkt die männlichen Bedürftigen, Anna die weiblichen.)

So lebten sie zwanzig Jahre zusammen, ohne dass sie ein Kind bekamen. Sie hatten gelobt, falls Gott ihnen ein Kind schenken würde, wollten sie dieses seinem Dienst weihen, und zogen jedes Jahr zu den drei Hauptfesten nach Jerusalem, aber ihre Hoffnung blieb unerfüllt. Als Joachim nun im zwanzigsten Jahr der Ehe am Fest der Tempelweihe wieder den Tempel betrat und sein Opfer (das Glasbild zeigt ihn mit einem Lämmchen) vor dem Altar niederlegen wollte, da wies ihn der Priester zornig hinaus: Er als Unfruchtbarer, der das Volk Gottes nicht vermehrt habe, stehe unter dem Fluch des Gesetzes und dürfe nicht mit den Fruchtbaren opfern.

 Joachim, zutiefst erschüttert und beschämt, wagte es nicht nach Hause zurückzukehren, weil er fürchtete, von den anderen verhöhnt zu werden. Daher ging er auf das Feld, wo seine Hirten das Vieh weideten, und blieb dort voller Trauer und Verwirrung.

Anna war indessen zu Hause und wusste nicht, weshalb ihr Mann nicht wiederkam. (Der Künstler folgt hier dem Protoevangelium: Anna betet im Garten unter einem Lorbeerbaum und erblickt dabei ein Sperlingsnest; da beginnt sie zu klagen, alle Vögel und anderen Tiere hätten Nachkommen, nur sie sei kinderlos. Entsprechend sehen wir einen Vogel, der seine Jungen im Nest füttert, und eine Kuh, die ihr Kälbchen säugt.)

Nach einiger Zeit jedoch erschien dem Joachim ein Engel in strahlendem Glanz, sodass er heftig erschrak, und sagte ihm: Gott habe seine Gebete erhört, er wisse um den ungerechten Vorwurf und wolle den Menschen zeigen, dass es nicht durch Sünde verschuldet sei, wenn eine Frau keine Kinder bekomme; das zeige ja schon das Beispiel der Sara, der Rahel und ande­rer Gestalten der heiligen Schrift. Seine Frau Anna werde eine Tochter zur Welt bringen, die vom Mutterleib an vom Geist Gottes erfüllt sei. Sogar die Geburt Jesu wurde von dem Engel schon angedeutet. Damit Joachim diese Ankündigung auch wirklich glauben konnte, wurde ihm ein Zeichen gegeben: Er solle nach Jerusalem zur Goldenen Pforte des Tempels gehen; dort werde er seine Frau Anna treffen.

   Und zu Anna kam derselbe Engel und verkündete ihr dasselbe.

Natürlich eilten beide zur Goldenen Pforte. Das ist ein Tor in der östlichen Umfassungsmauer des von Herodes neu erbauten Tempels. (Der Name kam allerdings erst in späterer Zeit auf.) Groß war ihre Freude, als sie einander erblickten, und sie waren sich jetzt sicher, dass die Ankündigung des Engels, die an sie beide in gleicher Weise ergangen war, eintreffen würde.

Und tatsächlich empfing Anna trotz ihres Alters ein Kind und brachte es in ihrem Hause zur Welt. (Das Glasbild zeigt sie im Wochenbett mit Hebammen; der Vater ist, ähnlich wie Joseph auf vielen Weihnachtsbildern, ganz in den Hintergrund gerückt.)

Wie dann die kleine Maria von ihren Eltern, dem Gelübde gemäß, in den Tempel gebracht wurde, wie sie, obwohl erst drei Jahre alt, die steilen Tempelstufen emporstieg und unter die Tempeljungfrauen aufgenommen wurde – das ist eine andere Geschichte.

Verehrt wird St. Anna im Orient seit dem 6., im Abendland seit dem 8. Jahrhundert. Geradezu zur Modeheiligen wurde sie aber im späten Mittelalter. Sie war das heilige Vorbild der Mütterlichkeit (Maria war wohl schon zu sehr entrückte Himmelskönigin geworden, um so menschlich betrachtet zu werden) und wurde in einer Zeit, für die die bürgerliche Familie sehr wichtig war, Modell der Sippen-Patriarchin.

Zu dieser Rolle passt gut eine für uns etwas seltsame Mitteilung, die im 9. Jahrhundert in die Legende aufgenommen wurde: die von der dreimaligen Heirat der Mutter Anna (recht erstaunlich, wenn man bedenkt, dass sie schon zu Lebzeiten von Joachim fast zu alt für eine Geburt war). Nach dem Tod Joachims soll sie einen Mann namens Kleophas geehelicht haben, den Bruder ihres Schwiegersohns Joseph (der ja in der Vorstellung der Legende viel älter als Maria war). Die Tochter aus dieser Ehe wurde ebenfalls Maria genannt und heiratete später einen gewissen Alphäus. Sie ist die Maria Cleophae (Johannes 19,25), die die Mutter der Apostel Simon und Juda sowie des in der Bibel öfter genannten Brüderpaars Jakobus (der Jüngere, auch Jacobus Alphaei) und Joses/Joseph (der Gerechte) war (vgl. bes. Markus 6,3 und 15,40). Auch Alphäus starb vor Anna und sie heiratete nun den Salome (spätere Namensform: Salomas), gebar wieder eine Tochter und nannte sie wieder Maria, zur Unterscheidung Maria Salome geheißen (die Salome, die nach Markus 16 mit Maria Magdalena und der Jakobus-Mutter Maria zum Grabe Jesu kommt). Diese Maria Salome heiratete Zebedäus und wurde die Mutter der Apostel Jakobus (des Älteren) und Johannes (vgl. Markus 15,40 mit Matthäus 27,56). Durch diese Legende wird erreicht, dass eine große Zahl von Personen, die im Neuen Testament vorkommen, zu engen Verwandten wurde – und Anna thront über der Sippe als Stammmutter. (Übrigens wird auch Johannes der Täufer noch eingebunden: Seine Großmutter mütterlicherseits sei die Schwester Annas gewesen.) Nicht weit von Maichingen gibt es eine bildliche Darstellung, die zeigt, dass diese Vorstellung von der „Heiligen Sippe" um St. Anna im Bewusstsein des Kirchenvolks lebte: den um 1500 entstandenen Altar in der Spitalkapelle von Weil der Stadt. Er zeigt Anna inmitten ihrer drei Männer, drei Töchter, drei Schwiegersöhne und sieben Enkel.